Mathe-Insel Mathematische Spielereien |
Erste Auswertungsübungen an der Tafel |
Auf diesem Protokoll sollten zunächst links die gewürfelten Zahlen
eingetragen werden, rechts wurde dann nur noch mit Kreuzen die Häufigkeit
gezählt. Das Verfahren ist fehlerresistenter, als wenn gleich angekreuzt
wird, weil sich die Experimentatoren sonst zu schnell uneins sind, ob ein
Wurf bereits notiert wurde. |
Tafelauswertung der Würfe mit zwei Würfeln |
Analoges Protokoll für zwei Würfel: Auch hier sind zwei Blätter auf
einem A4-Blatt angeordnet. Die Spalte für die Eins wird zwar nicht gebraucht,
aber auf diese Erkenntnis muss man erst einmal kommen.
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Lea und Lucie experimentieren am Galtonbrett |
Protokoll für unser Galtonbrett. Inzwischen hatten die Kinder genug
Erfahrung, um gleich die Kreuze zu setzen. Unser Galtonbrett hat 15 Fächer,
die Reservespalten wurden nicht benötigt.
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Ergebnisse des Galtonbretts mit zunächst nur fünf Fächern |
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Galtonbrett in der Ausstellung "Mathe erleben" |
Lassen sich statistische Gesetze schon im Grundschulalter erfassen? Sicher nicht in Formeln, das bereitet ja selbst im Studium noch so manches Problem. Aber intuitiv schon. Und so kann simples Würfeln bereits zu einigen Einsichten führen.
Die folgenden Experimente geschahen nicht an aufeinanderfolgenden Einheiten. Manchmal lagen ein oder zwei Wochen Pause dazwischen, in denen aus diversen Gründen andere Dinge wichtig waren. Insgesamt haben wir über etwa acht Einheiten immer wieder mit Würfeln und Kugeln experimentiert.
Wir haben mit unserer Gruppe experimentiert. Zunächst mit einem Würfel. Für die Erstklässler war das eine kleine Wiederholung. Doch auch die Zweitklässler waren mit Feuereifer bei der Sache - galt es doch, paarweise ein Formular auszufüllen: Es sollte ersichtlich sein, welche Zahlen gewürfelt wurden. Und wir wollten herausfinden, wie oft jede Zahl kommt.
Dass jede Zahl nur ungefähr gleich oft gewürfelt wird, war allen von vornherein klar, doch dass dann auf einem Protokoll noch keine einzige Sechs erschien, obwohl der Einserstapel schon am oberen Rand anstieß, sorgte für lautstarke Kommentare.
Als alle wenigstens ein Protokoll ausgefüllt hatten - andere hatten in der Zeit vor lauter Begeisterung gleich zwei Durchläufe geschafft - ging es ans Einsammeln der Ergebnisse. Wir summierten die Zahlen an der Tafel. Nun hatten die Erstklässler bis dahin nur unterhalb der 10 addiert, also wurde nicht richtig gerechnet, sondern jeder malte seinen Kreuzestapel einfach auf den vorhandenen drauf. Das erforderte nur genaues Zählen. Da jedes Kind mit Kreide einer anderen Farbe arbeitete, war Nachzählen unkompliziert möglich.
Bald war die Tafel voll, die Säulen stießen oben an. Und - was das Ziel der Übung war - die Säulen über den einzelnen Zahlen waren immer noch ungleich, aber verglichen mit dem gesamten Berg schon weitaus weniger. In dieser Stunde hatten wir also vor allem exaktes Experimentieren und Protokollieren geübt und viel gezählt. Dass bereits das so viel Freude machen würde, hatten wir nicht erwartet - aber selbst ein halbes Jahr später, bei der Auswertung des Jahres, fanden die Kinder das Würfeln einen tollen Programmpunkt.
Nun ging es also mit zwei Würfeln los. Es gab neue Auswertungsformulare, ansonsten blieb alles beim alten. Aber nun mußte auch gerechnet werden. Das Addieren der beiden Würfelzahlen war den Kindern gar nicht als Training bewußt, aber sie steigerten ihre Sicherheit und Geschwindigkeit im Verlaufe der Experimente deutlich.
An passender Stelle diskutierten wir, welche Ergebnisse überhaupt möglich sind - irgendwann fiel einem Kind dann doch mal auf, dass die Spalte für die "1" eigentlich sinnlos ist. Diese Erkenntnis verdient natürlich ein Extralob.
Erneut wurden Säulen an die Tafel gezeichnet. Aufgrund der Erfahrung aus den vorangegangenen Experimenten arbeiteten wir jetzt mit Strichen. In eines der an der Tafel vorgemalten Kästchen sollten immer fünf Striche eingefügt werden. Das war deutlich anspruchsvoller und erforderte anfangs eine etwas stärkere Kontrolle: Zum einen mußte man darauf achten, in jedes Kästchen genau fünf Striche zu malen, zum anderen mußte man auch die Gesamtzahl der zu malenden Striche im Auge behalten. Es war deutlich zu sehen, wie sich die Kinder Strategien überlegten, um mit Händen oder im Kopf das Problem zu lösen. Die älteren Teilnehmer zerlegten die Zahlen im Kopf passend, die Erstklässler arbeiteten sich Kästchen für Kästchen voran.
Schließlich war die Tafel mit Strichen bedeckt: Ein Berg in der Mitte, an den Seiten niedrige Säulen. Der Unterschied zum Bild des vorangegangenen Experiments war deutlich zu sehen. Wir fragten, ob das Zufall ist oder eigentlich so sein muss. Zu unserer großen Überraschung kamen tatsächlich die richtigen Antworten: Die Sieben muss ja häufiger kommen, die kann viel verschiedener sein ... - Die Äußerungen waren zwar etwas verworren, zeigten aber, daß der Kern des Problems intuitiv erfasst wurde.
Nun war es auch nicht mehr so kompliziert, die Zahl der Darstellungsmöglichkeiten aufzuschreiben. Zunächst mit Würfelbildern, dann in Ziffern notierten wir alle Möglichkeiten, wie mit zwei Würfeln eine 2, 3, ..., 12 gewürfelt werden kann und sahen, dass unser Berg so ganz ungefähr etwas mit dieser Anzahl zu tun hatte. Weiter wollten wir an dieser Stelle nicht gehen.
In den Mathematischen Spielereien spielen wir oft und viel und auch "richtige" Spiele. Zu den Würfel-Experimenten passt natürlich am besten ein Würfelspiel. Wir entschieden uns für "Mensch ärgere Dich nicht", denn zum einen war das in der Schule schon vorhanden, zum anderen kennt es fast jeder. Letzteres erwies sich dann beinahe als Nachteil, denn es gibt überraschend viele Regelvariationen in den Details, und die führen unweigerlich zum Streit am Brett. Die Kinder waren noch nicht in der Lage, sich auf eine Regel zu einigen, teilweise merkten sie in ihrem Eifer nicht einmal, dass unterschiedliche Regeln hinter ihren Aktionen stecken und nicht der Versuch, heimlich zu schummeln.
Die Stunde wurde gerettet, weil ein zufällig hospitierender Vater einen Tisch als Schiedsrichter übernahm. Nach einer Proberunde nach den vermeintlich allseits bekannten Regeln führten wir eine Neuerung ein:
Wir würfelten nun mit zwei Würfeln, was die Figuren natürlich beschleunigt. Außerdem durften die Spieler vor jedem Wurf ansagen, mit welcher Zahl sie "herauskommen" wollen, welche Zahl also die Sechs in den klassischen Regeln ersetzt.
Damit ist es natürlich sinnvoll, auf die Sieben zu setzen, wenn noch gar keine Figur unterwegs ist. Sind hingegen genug Figuren im Spiel, kann man besser auf die Zwei oder Drei ausweichen.
Die Kinder experimentierten mit Freude drauflos. Die Erkenntnisse aus den Würfelexperimenten konnten noch nicht selbständig angewendet werden. Nach einigen Erklärungen wurde das dann klarer, aber trotzdem wurde weiterhin gern die aus theoretischer Sicht nicht optimale Zahl zum Herauskommen gewählt, und natürlich auch manchmal mit Erfolg. Das ist nun einmal der Zufall.
Es bleibt die Freude am Spiel, am Entdecken neuer Spielregeln und die noch nicht all zu feste Erfahrung, dass sich die Ergebnisse eines Experimentes dann auch anderswo als nützlich erweisen könnten.
Die Zahlen müssen nicht immer gleichhäufig wie beim Würfel kommen! Das wollten wir gern weiter verfestigen. Das Galtonsche Brett eignet sich dazu hervorragend - ist es doch auch ein herrliches Spielzeug, eine Kugelbahn.
Wir wollten nicht mit einem der Bretter experimentieren, in das man einen ganzen Sack Kugeln hineinschüttet und unten die Kurve dann fertig gezeigt bekommt, sondern wie bei den Würfelexperimenten langsam vorgehen. Der Weg der einzelnen Kugel sollte beobachtet werden, damit genug Zeit bleibt, darüber nachzudenken und zu begreifen, was da vor sich geht.
Der Markt für Galtonsche Bretter ist sehr dünn, daher verwendeten wir einen Eigenbau, der vermutlich nicht die allerhöchste Präzision hat. Für unsere Zwecke würde er ausreichen. Gewöhnliche Glasmurmeln sind optisch attraktiv und preiswert. Allerdings haben sie - das merkten wir erst beim Bau - deutlich differierende Durchmesser, weswegen wir dann mit Messschieber einkaufen gingen, denn so groß waren die Toleranzen des Brettes dann doch nicht, dass die Murmeldurchmesser im Millimeterbereich abweichen sollten.
Da wir nur ein Galtonsches Brett hatten, konnten wir nicht wie bei den Würfeln alle gemeinsam experimentieren. Allerdings blieben in den Spielphasen immer mal ein oder zwei Kinder "übrig", wenn sich drei Vierergruppen zu anderen Spielen zusammengefunden hatten. Gelegentlich arbeiteten wir auch im Stationsbetrieb, wo das Brett dann eine der Stationen war.
Da die Kinder durch die Würfelexperimente die Protokollierung wunderbar beherrschten, konnten wir Kinder, die gerade nichts zu tun hatten, immer zu einer Versuchsserie ans Galtonsche Brett schicken und bekamen so im Verlaufe einiger Einheiten eine ganze Menge Protokolle zusammen.
Die Säulen an der Tafel wuchsen dann mal nebenbei - dafür gab es genug Bewerber, die die Protokolle gern zusammenführen wollten. Die erhoffte Kurve zeichnete sich halbwegs ab.
Weitaus schwieriger war es zu vermitteln, warum die Höhen so unterschiedlich sind. Auf wievielen Wegen kann eine Kugel in ein bestimmtes Fach gelangen? Ausprobieren funktioniert nur für sehr wenige Fächer und war - das konnten alle schnell feststellen - auch ein ziemlich unzuverlässiges Verfahren. Wir begannen nachzudenken: Die Kugel kann von rechts oben oder von links oben kommen - also muss doch dort eigentlich die Summe aus den möglichen Wegezahlen zu den beiden darüber liegenden Positionen stehen?
Das war ein schwieriger Schritt für unsere Kinder, aber irgendwann ahnten sie dann doch, dass diese Erkenntnis einen gewaltigen Vorteil bringt: Man konnte das Brett jetzt sozusagen ausrechnen. Wir hatten das Pascalsche Dreieck entdeckt und konnten nun sagen, auf wievielen Wegen eine Kugel jeweils an einen bestimmten Platz gelangt. Und diese Zahlen gaben auch ungefähr die Höhe unserer Säulen an der Tafel an.
Zunächst hatten wir das Galtonbrett durch einen seitlichen Extra-Zulauf künstlich verkürzt, so dass nur fünf Fächer erreicht werden konnten. Das kann man im Bild oben erkennen und spiegelt sich auch in der Auswertung oben wider. Nun ließen wir die Kinder mit der vollen Breite experimentieren. Die besten Rechner aus der dritten Klasse konnten sogar die Wegezahlen bis zu dieser Zeile berechnen. Nun wurde auch klar - sowohl in der Rechnung als auch im Experiment -, dass es ein kleines Wunder - oder ein "sehr seltenes Ereignis" ist, wenn eine Kugel ins Fach 1 oder 15 fällt.
Die Kinder konnten uns bis dahin folgen, einige mit Mühe, andere völlig ohne Probleme. Weiter wollten wir nicht gehen, denn mit Brüchen können wir noch nicht arbeiten.
Schließlich gastierte die Ausstellung "Mathe erleben" in Chemnitz, die unsere Gruppe am Eröffnungstag besuchte: Dort gab es auch ein Galtonsches Brett, eines, in das man einen ganzen Eimer Kugeln schütten konnte. Und jetzt sahen alle die Kurve, die wir mit unseren Einzelwürfen nur grob angenähert hatten.
Drücken wir es mathematisch aus, so sind wir bis zur Gaußschen Normalverteilung gekommen und haben das Gesetz der Großen Zahlen gestreift. Wichtiger war uns aber das mathematische Experiment, um Erkenntnisse und Ideen zu gewinnen und ein Gefühl für zufällige Abweichungen zu bekommen. (Dass wir einmal eine Schummelei aufdecken konnten, weil die Anzahl der Sechsen einem Hauptgewinn im Lotto gleichkam, hat sicher imponiert.) Durch die gemeinsame Arbeit in mehreren Versuchsgruppen war die Gesamtzahl der Würfe hoch genug, um als Versuchsleiter beruhigt auf das Funktionieren der Experimente vertrauen zu können.